Peter Baumgartner

Die sieben Irrtümer der Digitalisierung

Natürlich ist uns klar, dass künstliche Intelligenz tausende Konten extrem schnell durchsuchen kann und uns hilft. Natürlich glauben wir an Pflegeroboter und digitalisierte Operateure, die wichtige medizinische Dienste leisten.

Natürlich hoffen wir auf intelligente Verkehrssysteme, die uns unfallfrei und schnell voranbringen.

Alle diese positiven und wichtigen Entwicklungen bedeuten aber nicht, dass wir Digitalisierungsverehrer sein und uneingeschränkt bleiben müssen.

 

Eine Enttäuschung ist das Ende einer Täuschung

Dieser FachBlog wird Sie sieben Mal enttäuschen. Warum Sie trotzdem weiterlesen sollten? Die richtige Einordnung der Digitalisierung entscheidet über unsere Zukunftsfähigkeit.

 

Irrtum 1: Die Digitalisierung macht uns alle glücklicher

Unsere tägliche Arbeit wird durch die digitalen Einflüsse nicht zum glücklich machenden Allheilmittel. Oft nimmt das Gefühl der Kontrolle und Überwachung zu. Zudem schafft die Entkopplung der realen Wirtschaft von der digitalen Transformation gefährliche Lücken im System. Wir müssen hier klar gegensteuern.

Warum soll ein Teilaspekt des Wirtschaftens alle anderen Aspekte überflügeln und aus der Verantwortung nehmen? Unsere Antwort auf die globalen Herausforderungen kann nicht eine Kombination aus Digitalisierung und einer möglichst billigen Arbeitskraft sein, sondern nur der intelligente und motivierte Mensch, der das Werkzeug Digitalisierung verantwortungsvoll einsetzt.
 

Irrtum 2:  Wo 4.0 draufsteht, ist Digitalisierung drin

Medien, Politik und Wirtschaft übertreffen sich oftmals in wichtigmachenden und inhaltslosen Darstellungen. Workplace 4.0, Banking 4.0, Produktion 4.0 und vieles andere suggeriert, es handle sich hier um grundlegend neue Arten Dinge zu tun. So manches Geschäftsmodell wird digitalisiert, indem man einfach vorne „digital“ oder hinten „4.0“ einfügt. Neue Technologien müssen aber mehr als das können - nämlich neue Angebote, Produkte und neue Geschäftsmodelle kreieren.

Wer nur Bestehendes digitalisiert oder elektrifiziert, wird es künftig schwer haben. Es geht vielmehr darum, digital zu transformieren und Neues zu erschaffen.

 

Irrtum 3:  Reisen ins Silicon Valley sind die Lösung

Es ist modern, ins Silicon Valley zu reisen, den Stand der Dinge zu kopieren und auf die eigene Situation umzulegen. Neue IT-Ansätze, Cloud-Lösungen und Produktindividualisierungen sind aber nur in agilen Organisationen schnell umsetzbar. Starre Organisationsstrukturen scheitern alleine an der Technologie. Wer lieber ausdruckt und ablegt, kann auf die Technik der 1980iger Jahre zurückgreifen oder gleich zusperren.

Wenn Sie schon ins Silicon Valley reisen, dann besuchen Sie dort bitte die Schule in Los Altos. Es ist eine Waldorfschule. Die Kinder der digitalen Elite lernen ohne Bildschirme, aber mit menschlicher Interaktion und handwerklicher Arbeit.
 

Irrtum 4: Eine grandiose digitale Geschwindigkeitssteigerung

Seit 2003 ist es, nach Einstellung der Concorde, nicht mehr möglich „schnell“ über den Atlantik zu reisen. Es dauert heute rund drei Mal so lange. Die Geschwindigkeit war kaum mehr finanzierbar und letztlich zu gefährlich.

Service-Zeiten stagnieren oder gehen zurück. Wenn wir an diese unvermeidlichen Service-Telefonnummern denken, dann sind wir zum Aufenthalt im Wartesaal verdammt, bis uns die freundliche Ansage nach 20 Minuten volldigitalisiert aus der Leitung wirft. Zurück an den Start und tschüss Geschwindigkeit.

Speed kills? Die Entdeckung der Langsamkeit täte uns manchmal sehr gut.

 

Irrtum 5: Die Digitalisierung als smartes und effizientes Werkzeug

Unsere Welt ist zu überfüllt mit nutzlosem Wissen. Spätestens seit Edward Snowden wissen wir, wie wenig smart digitale Überwachung, Spionage und Verbrechen sind. Unsere schöne digitale Welt kann auch böse sein. Egal, ob uns jemand Glück in Dosen verkaufen oder „nur“ unsere Kontodaten abgreifen will.

Aktuell benötigen wir weltweit das Energieäquivalent von 25 Atomkraftwerken, um den Energiehunger der Digitalisierung zu stillen. Bei einer Steigerungsrate von jährlich zehn Prozent. Effizient ist das nicht.

Smart und effizient ist alles, was wir an Sinnvollem und Gutem in den Netzen dieser Welt anstoßen und tun können. Lassen Sie uns aufmerksam bleiben.
 

Irrtum 6:  Die Digitalisierung und die neue Arbeitswelt

Die einen meinen, die Digitalisierung werde dazu führen, dass völlig neue Arbeitsplätze entstehen, die wir uns noch nicht vorstellen können. Die anderen fürchten das Ende der Arbeit. Diese werde zurückgehen und Berufe würden verschwinden. Die Dritten wissen noch gar nicht, was Sie denken sollen, sie ahnen aber, das Digitalisierung mehr Bildung und Qualifizierung benötigt.

Mehr und mehr werden einfache Tätigkeiten verschwinden. Die Zukunft gehört den hoch qualifizierten Berufen. Dem Bildungswesen fällt eine zentrale Aufgabe zu. Dabei geht es nicht um Techniken und die Nutzung von Smartphone oder Tablet. Es geht um den Umgang mit der Intelligenz der Vielen. Und es geht um Komplexität und Agilität. Es bleibt spannend und Bildung bleibt wichtig.

 

Irrtum 7:  Die Digitalisierung als Wunder- und Geldvermehrungsmittel

Die „Millennials“ zeigen anderen öffentlich wie toll das Leben ist, selbst dann, wenn sie selbst deprimiert sind. Alles geht schnell und leicht. Alles, was man will, kann man sofort haben, außer Befriedigung im Job und starke Beziehungen. Dafür gibt es keine App. Und wird es niemals eine geben.
Eine digitale Geldvermehrung gelingt vor allem den digitalen Kapitalisten. Eine digitale Aristokratie also, die die richtigen digitalen Plätze für sich einnimmt und an jeder Entwicklung mitschneidet.

Von den Chancen der Digitalisierung bleibt ohne Realwirtschaft wenig übrig. Das Programmieren von Apps wird die Wirtschaftswelt niemals ablösen. Jede Digitalisierungsform baut auf unserer Infrastruktur auf. Was passiert, wenn wir nach einem Wasserrohrbruch merken, dass auf der Installateur-App kein Installateur mehr zu finden ist? Bleibt zu hoffen, dass uns dieses Bild vor einem blinden Digitalisierungsverehren bewahrt.
 

Quintessenz 1: Digitalisierung verlang nach guter Führung

Die Anziehungskraft von Industrie 4.0 und gewinnbringender Vernetzung ist riesig. Wer will noch Menschen erfolgreich führen?
Erfolgreich sind jene, die den Menschen Orientierung bieten und Entscheidungen treffen. Interessant sind Führungskräfte, die die Fähigkeit haben, Menschen in der Organisation zu halten und neue Menschen für die Organisation zu gewinnen. Gute Führungskräfte ersetzen hierarchische Prozesse durch wirtschaftliche Kollaboration und interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Wer heute Leistung will, muss Sinn bieten.
Führung kann man nicht herunterladen. Sinn ist keine App.

 

Quintessenz 2: Analog ist das neue Bio

Wenn wir alles digitalisieren, was digitalisiert werden kann, wird das Nicht-Digitalisierbare immer wertvoller. Wir Menschen sind ohnehin schrecklich analog.

Unsere Mitarbeiter sind zu 100% Menschen.
Unsere Kunden sind zu 100% Menschen.

Wir haben in vielen Ländern der EU einen relativen Gleichstand an technologischen Standards. Generell räumen wir der digitalen Technologie viel Platz ein. Die einzige Unterscheidungsmöglichkeit am Markt ist aber das analoge Verständnis unseres Menschseins, das ist unser Zukunftspotential.
Digitalisierung ist viel weniger Technologie und vielmehr Kultur als jemals erhofft. Das ist gut so. Das ist die Umkehr. Das ist der Weg hin zu den Soft Skills.
 

Quintessenz 3: Der Mensch ist die schönste aller Maschinen

Im Kommunikationszeitalter erleben wir paradoxerweise einen Mangel an zwischenmenschlicher Kommunikation. Wenn Sie fehlende Kommunikation durch die Digitalisierung kompensieren wollen, machen Sie alles schlimmer.

Unternehmen, die zukunftsfähig bleiben wollen, richten ihren Fokus nicht nur auf die Technik, sondern auf kommunikative Fähigkeiten, sie fördern Face2Face statt Facebook.

Zwischen Bits, Bytes und Online sind wir oft genug allein. Irgendwann brauchen wir wieder mehr Gesichter, Stimmen und Persönlichkeiten. Wir brauchen etwas anderes. Etwas Reales: greifbar, spürbar, ... oder eben nur Schweiß auf der Stirn.

Wir müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Es geht darum, Menschen und Ereignisse positiv zu beeinflussen.

 

Mutiger Ausblick

Vieles können wir positiv angehen. Was haben Sie bislang in der analogen Welt geschafft? Wo stehen Sie? Wo wollen Sie hin?

Das lässt sich doch gemeinsam schaffen!


Der Autor:
 

Leadership & Kommunikation
Peter Baumgartner
Speaker, Redner und Coach. Er bewegt Menschen und macht Organisationen zukunftsfähig. Seine Vorträge und Seminare sind weltweit gefragt.
4810 Altmünster am Traunsee / Österreich

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